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Nachruf, Sylke Tempel

Sylke Tempel

Einen Rundgang in Hampstead wollte Sylke Tempel unbedingt machen, so unsere Vereinbarung am Telefon und so kam es dann auch. Treffpunkt Cafe Rouge, Hampstead Highstreet im Herbst vor ca. 15 Jahren. Sylke mochte die Briten, gleich aus mehreren Gründen. Das Königreich verfügte über zahlreiche think tanks, die sich mit der außenpolitischen Erfahrung des Empires und vor allem der ups and downs stellten. Strategische Studien des ISS waren weit mehr als politische Empfehlungen an die jeweils Regierenden. Vielleicht lag es an der bewegten Geschichte der britischen Außenpolitik, an ihrer Erfahrung und Sturheit sowie ihrem Kampfgeist und lateralem Denken, welches die Briten vor größeren Katastrophen bewahrt hatte, nicht zuletzt einer deutschen Invasion unter Hitlers Führung. Sie mochte die Traditionsbewusstheit der Strategen an den Universitäten in Oxford und Cambridge, die unaufgeregte Analysefähigkeit britischer Historiker und die so wegweisenden Bücher der Historiker.

Während wir also durch den alten Teil Hampsteads wanderten, über den Judges Walk zur U-Bahn Hampstead, dann entlang der Heath Street, Yorkshire Grey Place in Richtung NW3, 41 Maitland Park Road, einst Wohnort (1875-183) von Karl Marx, widmete Sylke sich dann doch noch den Angeboten der zahlreichen Geschäfte. Sie mochte Loafers, Original Tweet Jackets aus Schottland. Elegant allemal, nicht extrovertiert. Immer aufmerksam, was sie beim Rundgand durch die oftmals schon 600 Jahre alten Wohnhäuser fand, welcher Pop Star dort heute wohnt. Sylke mochte die englische Art und Weise demokratischer Debatten, die Fairness trotz aller Kontroversen, das faszinierte sie ebenso wie die Studien in den strategischen Reviews der Briten.
Sylke war eine unabhängige freie Journalistin, die sich in der von Männern dominierten Medienwelt durch geschriebene klare Gedanken durchsetzte. Das konnte sie. Sie bewunderte die BBC Nachrichten und analytischen Recherchen, mochte die Konferenzen und den dortigen Humor, der selbst die bitterste historische Erfahrung noch erträglich erscheinen ließ. Genau diesen Humor hatte Sylke auch. Niemals verletzend, aber geradeaus, authentisch, nicht bevormundend, wohl wissend, das guter Humor jeder klugen Debatte dienlich ist. Sylke war sehr klug, witzig und eben nicht denkfaul.

Am Ende unserer Exkursion standen Fish & Chips zum Dinner und das Versprechen, in Kontakt zu bleiben. So kreuzten sich unsere beruflichen Wege regelmäßig. Sylke wurde zu einer gefragten Außenpolitikexpertin beim Hessischen Rundfunk, für den ich als Redakteur und Moderator tätig war. Sie kannte den Iran bestens. Der Konflikt Israel – Palästina. Für Sylke stand das Existenzrecht Israels niemals zur Disposition. Mit scharfen Worten geißelte sie alle jene, die sich vor den Karren antiisraelischer Politik spannen ließen. Sie bewahrte kritische Distanz bei unfairer Polarisierung; Politik zu erklären daran lag ihr. Und genau darin war sie sehr britisch und pluralistisch.

Das Pro-Brexit-Referendum forderte neue Impulse. Glasklar analysierte sie das Politikversagen der Eliten quer durch alle Parteien. Im Hintergrund immer wieder die Hoffnung – neben ihrer Enttäuschung – die Briten mögen doch bitte wieder zur Vernunft und rationalen Politik zurück kehren. “Die können das doch” war ihre Meinung.
Genau darum ging es in unserem Vorgespräch, wenige Tage vor der Allianz und BCCG Veranstaltung 2017, einen Tag nach der Wahl am 9 Juni in Großbritannien. Ich war sehr froh, Sylke auf den Podium mit den anderen Experten zu moderieren. Kurz vor der Morgenveranstaltung im Allianzforum, Sylke kam gerade aus einer TV talk show vom Vorabend, hatte wenig geschlafen, war aber guter Dinge. Aber es wurde deutlich, wie tief auch ihre Enttäuschung über die UK-Wahl saß. Der dramatische Zugewinn an Stimmen bei Labour und für Corbyn (“a fluffy hippie fossile”) war für sie ohne langfristige Bedeutung, der Absturz der Konservativen- sie hatte es geahnt. Sie erkannte sofort die größeren Implikationen daraus für Europa. Nun würde die EU, vor allem aber Deutschland, mit allen ihren Führungskräften auf die Probe gestellt. Ist man dieser Herausforderung mit einer Strategie gewachsen? Sylke hatte Zweifel- zu viele unnötige Polarisierungen, zu wenig Ehrlichkeit. Also das Spielfeld neu verteilen? Nein, dafür ist die Zeit nicht reif. Man muss reden, nur keine kurzfristigen Pseudolösungen. Es wird neue Krisen geben.

Dass die Veranstaltung zu einem großen Erfolg der klugen Nachdenklichkeit wurde, das war unter anderem den Statements von Sylke zu verdanken.
Nach der Paneldiskussion beim Kaffee sprachen wir: Lass uns einmal etwas im kommenden Jahr machen, 365 Tage bis zum Brexit… oder so. Wir reden dann in einigen Wochen mal darüber…ruf mich an, jederzeit und gerne.
Wenn ich mich recht erinnere, trug Sie an diesem Morgen englische Loafer Shoes.
Good bye, Sylke. Thanks for inviting me for Fish & Chips.